Europa - was soll das denn sein? - Zur Inter- bzw. Transnationalität
Emma: Ich bin auch ganz viel darüber gestolpert, über diesen Namen „Internationales europäisches Theaterfestival“, das sind drei so harte Framings, [die anderen beiden lachen] also mit „international“ würde ich heute [lachend] gar nicht mehr hantieren wollen, weil das immer noch von Nationen ausgeht - und ich weiß auch, dass das ein Begriff ist mit einer komplizierten politischen Geschichte, aber ich versuche inzwischen von einem „transeuropäischen Festival“ zu reden. Und lande dann bei so einem redundanten [lachend] „Joah, Transeuropa ist ein transeuropäisches Festival“ [die anderen lachen auch]. Ich tu mich superschwer mit dieser Setzung „Europa“. Was würdest du denn sagen: Wo sind Potenziale von so einer Setzung, wie es jetzt zum Beispiel auch mit der Europäischen Kulturhauptstadt ist.
Caro: [lachend] Oh! Emma: Ja, heute ist mein Tag der großen Fragen [lacht].
Caro: Das ist so eine von den Lieblingsfragen, weil ich echt gemerkt habe, als ich angefangen habe für dieses Kulturhauptstadt-Europas-Ding zu arbeiten, da hab ich gedacht: „Das geht alles gar nicht!“ Ich meine: Seit Jahrhunderten hat Europa das Problem, dass sie einfach nicht aus diesem zentralperspektivischen „Wir sind der Mittelpunkt der Welt und jetzt orientieren wir uns mal in alle Richtungen und so“ rauskommen. Und das war irgendwie so echt mein großes Einstiegsproblem, wie man überhaupt dieses „Europa“ da jetzt so featuren soll. Sei es, egal jetzt, in transeuropa oder in europäische Kulturhauptstadt. Und dann irgendwann habe ich so kapiert: Naja ok. Es gibt so Werte, wie zum Beispiel Demokratie und Freiheit, an die ich tatsächlich glaube und glauben will. Und die sich auch, meiner Ansicht nach, übertragen lassen von so einem nationalstaatlichen, veralteten Denken in eins, das vielleicht tatsächlich für den Planeten funktionieren könnte. Das war dann so der erste Ansatzpunkt, wo ich dachte „Okay!“. Wenn man sich bestimmte Werte rauspickt und sagt: Dafür kann jetzt vielleicht Europa glücklicherweise seit 80 Jahren stehen, weil es irgendwie keinen Krieg gab und solche Dinge. Dann fängt es an, dass man damit vorangehen kann. Und dann fängt es auch an, dass man, finde ich, so Setzungen machen kann, die dann auf eine andere Weise wieder funktionieren.
Eva: Ja, aber gerade bei dieser Frage „international, Nationen und Grenzen“, also ich habe keine Ahnung, wie das zu deiner Transeuropazeit war, aber bei uns war da sofort eine natürliche Abwehrhaltung. Und dann war auch diese Frage: „Mit welchen Partnerländern wollen wir eigentlich dieses Festival ausrichten?“ - Es gab ja ganz, ganz viele Ausgaben, und so hat das ja auch begonnen, das ganze Transeuropa, nämlich um so Partnerschaften jenseits des Eisernen Vorhangs mit dem sogenannten „Westen“ zu stärken und so weiter und so fort. Und dann haben wir uns überlegt: „Gibt es Partnerländer, mit denen wir irgendwie gut können?“ Wir haben eine ganze Liste gemacht, haben uns da eingearbeitet, haben geguckt: wo machen wir gerne Urlaub? Wo kommen eigentlich unsere Lieblingskünstler*innen her? - und so weiter und so fort. Es war schier nicht zu lösen.
Emma: [lachend] ungefähr 50 Mal haben wir geguckt: Was ist eigentlich „Europa“? [Eva stimmt lachend zu]: Ja genau!
Caro: Ja, geographisch? Politisch?
Emma: Geschichtlich?
Eva: Der beste Fun Fact ist, dass wir rausgefunden haben, dass selbst Kasachstan geographisch zu Europa gehört.
Emma: [lachend] Aber nur zur Hälfte?
Eva: Nein, nur zu fünf Prozent der Fläche!
Emma: [lachend] Ok.
Eva: Zu fünf Prozent der Fläche - wahrscheinlich ist dieser Anteil größer als ganz Deutschland - gehört selbst Kasachstan zu Europa. Wir wussten jedenfalls nicht, wie gehen wir vor, und haben dann am Ende gesagt: „Gut, wir machen überhaupt gar keine Partnerländer“.