Theaterfestivals heute -
Genregrenzen, innovative Formate, Flexibilität
Emma: Wie zeitgemäß ist es noch, ein Theaterfestival zu machen und es als solches zu benennen?
Caro: Das ist 'ne tolle Frage. Also..
[Emma lacht]
Caro: Ich habe den Eindruck, manchmal braucht es das Publikum. Ich brauche das überhaupt nicht, weil mich eigentlich gar nicht so sehr interessiert: Ist das jetzt gerade Kunst, oder ist das Theater, oder nenne ich das Musik oder wie auch immer. Und ich habe aber tolle Erfahrungen gemacht, zum Beispiel bei dem Foreign Affairs Festival bei den Berliner Festspielen, wo ich vier Jahre gearbeitet habe. Da haben wir so Experimente gemacht und zum Beispiel bildende Künstler eingeladen, im Theaterraum zu arbeiten. Und dann gab es den tollen Ragnar Kjartansson, das ist ein isländischer Künstler, der gesagt hat: Ah okay, die große Bühne im Haus der Berliner Festspiele! Dann lass ich da so 'ne Weichbodenmatte runterfallen, und während die runterfällt, gibt es so 'nen bestimmten Lichtspot und dann liegt die unten. Und dann wird die von den Bühnenarbeitern wieder hochgezogen, zu dem Bühnenhimmel, dass sie nicht zu sehen ist - und dann fällt sie wieder runter. Und das hat er so acht Stunden lang gemacht! Die Leute waren halt völlig... es war halt ein ganz normales Festival, es gab so diese Aufführung und jene Aufführung, dann sind die Leute so rein gegangen und fanden es halt am Anfang irgendwie kurz witzig, und zwischendurch dann so: „Hä, was ist hier los?“, „Wollen die uns verarschen?“ Dann sind die ersten auf die Bühne gegangen und haben gesagt: „Hier stimmt irgendwas nicht!“. „Ich muss jetzt mal hier was sagen.“ „Es wird ja gar nichts gesagt!“, und so: „Was ist hier los?“ Und dann gab es ganz, ganz viele Leute, die sich relativ schnell extrem provozieren ließen.
Es war so einer meiner Lieblings-, es fing irgendwie so nachmittags an und sollte bis spätabends gehen, und es war so einer meiner Lieblingsnachmittage als Dramaturgin, weil ich stand so die ganze Zeit im Foyer, und dann kamen immer so Leute: „Das ist Betrug!“
[Emma und Eva lachen]
Caro: „Ich bin hier zu einem Festival gekommen! Ich möchte eine Vorstellung sehen, das steht auch ganz anders im Programmheft!“ Und dann hab ich immer gesagt: „Ah ja, was steht - lassen Sie uns doch mal gucken - was steht denn im Programmheft?“, und dann waren das so tolle Auseinandersetzungen darüber, was man erwartet, wenn man ins Theater geht. Und wenn man diese ganzen Gewohnheiten, ne: Ich geh dann zur Garderobe, dann hänge ich meine Jacke auf, dann hole ich mir noch 'nen Drink und dann geh ich da rein und dann fängt das Theater an. Wenn das halt einfach nicht passiert! Und ehrlich gesagt nur aufgrund der eigenen Erwartung, die man hat, diese wahnsinnige Enttäuschung oder Auseinandersetzung damit anfängt. Deswegen bin ich große Freundin vom Aufbrechen solcher Strukturen und solcher Denkweisen.
Eva: Und so Konventionen auch.
Caro: Und Konventionen.
Eva: Das wäre auch was, was ich mir wünschen würde, vom nächsten transeuropa. Ich glaube nämlich, dass auch diese allgemeine Einstellung von: Es ist gerade eh alles anders, so was wie: Man geht mit einem riesigen Pulk Leute ins Theater und setzt sich dicht an dicht in das Publikum. Ist eh klar, dass das nicht stattfinden wird! Aber ich glaube, dass sich dadurch vielleicht 'ne größere Bereitschaft gibt, sich auf innovative Formate einzulassen, weil es halt notwendig ist! Und plötzlich ist es halt gar nichts mehr Verrücktes, dass so 'ne Performance am Telefon stattfindet, oder one to one, oder ganz ohne, Menschen auf der Bühne, wie das mit dieser komischen Turnmatte, was du gerade erklärt hast. Ich kann mir vorstellen, dass einfach mehr Leute, die jetzt noch nicht so into the thing sind, was jetzt die neuen Formate der Künste angeht, sich das jetzt ein bisschen öffnet.
Caro: Das kann ich mir auch sehr, sehr gut vorstellen. Also ich finde, das ist ja eh alles schrecklich genug mit dem ganzen Corona-Ding. Aber es gibt so ein paar Potentiale auch darin! Wo ich das echt sehe, dass man vielleicht 'ne Chance hat, genau solche Gewohnheiten irgendwie ein bisschen aufzubrechen. Und, wie du sagst, die Leute auch ein bisschen abzuholen, mit so einer anderen Offenheit. Oder so: Na okay, was geht denn jetzt überhaupt, und was ist das, was wir jetzt gemeinsam tun können?